Dienstag, 15. November 2016

Jakobsweg - Betrachtungen des Pilgers



Hier entlang: finden Sie heraus, was das Pilgern Ihnen bedeutet! (eigenes Foto, August 2016)

Ich bin insgesamt drei mal den Jakobsweg gegangen.

Es gab, nach einer im Fernsehen entdeckten Reportage, die Sehnsucht, Jakobuspilger sein zu wollen.
Und den Gedanken: In meiner momentanen Lebenssituation geht das nicht.

Es gab, nach einer dramatischen Zeit in meinem Leben, so etwas wie einen Befreiungsschlag. Und dann recht schnell den Entschluss: Jetzt ist die Zeit.

Es gab eine unerwartete Fügung, die mich ein Jahr später noch mal denselben Weg gehen ließ - gewissermaßen als Führerin.

Es gab Stürme und Unsicherheiten, viele Neuerungen, Irrwege und Bekehrungen in kurzer Folge, und die Idee: Wenn ich den treffe, der meiner werden soll, dann muss er mit mir den Jakobsweg gehen.
Der gemeinsame Weg, ganz anders als die vorherigen, Pilgern als Ehevorbereitung, neu gesehen durch unser beider Augen, froh auf ein gemeinsam Ziel hin. Das Glück, die Verbundenheit mit dem Camino mit dem Partner teilen, ihn genau so begeistert sehen zu können...


Pilgern ist etwas anderes, ist mehr als Urlaub, mehr als Wandern, als Natur genießen.
Die innere Haltung des Pilgers ist eine andere.

Zeichen am Weg (eigenes Foto, August 2016)

Für mich als katholische Christin ist es ganz klar, dass der Pilgerweg ein Abbild unseres Lebensweges ist. Eine nicht immer ganz übersichtliche und trotz großer Schönheit oft nicht einfache Wegstrecke, die uns am Ende in die Arme Gottes führen soll.

Viele Menschen, die auf den Jakobswegen unterwegs sind, spüren das auch aus der eigenen Erfahrung heraus, merken, dass sie hier auf ganz besondere Weise Lebenserfahrung sammeln und verstehen können. Freundschaften, die hier entstehen, sind schneller intensiver als anderswo, und während die innere Haltung des Gottvertrauens dem modernen Menschen fremd geworden ist, lernt er auf dem Weg ganz selbstverständlich, darauf zu vertrauen, dass sich eventuell auftauchende kleine Probleme schnell und manchmal mit einer überraschenden Leichtigkeit lösen lassen.

"The Camino has it's own mind." heißt es. Diese selbstverständliche Leichtigkeit, mit der man annimt, dass nicht alles so läuft wie geplant aber trotzdem schon irgendwie gut ist, ist etwas, das viele Pilger am Camino besonders schätzen.
"The Camino provides." heißt es. Tatsächlich begegnet einem auf dem Jakobsweg hilfe fast schneller, als man Probleme kriegen kann; sei es ein Pflaster, das dir ein Mitpilger gibt, ein Schluck Wasser, der von einem Einheimischen an einem improvisierten Stand am Wegesrand ausgegeben wird, eine Blasenbehandlung in der Herberge oder ein gemeinsames Essen, das vielleicht genau an dem Abend von einem Mitpilger organisiert wird, an dem man selbst das Einkaufen vergessen hatte.

Das man im Rhythmus des Gehens anders auf sich selbst und seine Umgebung achten lernt ist nichts Neues und kann auch im Wandern erfahren werden.

Aus meiner Sicht spielen für die Mehr-Erfahrung des Pilgerns das Bewusstsein über das Ziel, und damit verknüpft, die Länge des Weges, sowie dass man diesen eben nur in eine Richtung geht eine Rolle.
Man kommt an jeder Stelle des Weges nur ein mal vorbei, man muss immer weiter, man hat etwas größeres im Sinn, als die Erfahrung des Augenblickes, weiß aber, dass dieser Augenblick für das große Ziel unverzichtbar ist und somit seine eigene Wichtigkeit hat.

Auf meinem dritten Jakobsweg wurde die Erfahrung, damit umgehen zu müssen, das manchmal alles ganz anders ist als geplant, sehr wichtig. Ich war gezwungen, einige Etappen mit Bussen oder im Taxi zu überspringen und auch diese Abschnitte wurden Teil meiner Pilgerschaft, weil sie mich etwas über Demut und Vertrauen lehrten. Den Weg trotz allen Schwierigkeiten gemeinsam gemeistert zu haben hat auch meine Beziehung zu meinem Mann vertieft.

Pilgern ist nicht beliebiges Gehen, und auch für die Menschen, für die das konkrete Ziel eben nicht mehr als eine Stadt ist bedeutet es etwas anderes, einen Pilgerweg zu gehen, als zum Beispiel eine Tageswanderung oder einen Rundwanderweg. Der Wallfahrtsort als Ziel eines Pilgerweges hat dadurch auch für nicht Gläubige eine besondere Bedeutung.
Für den Christen wird außerdem besonders deutlich, dass das Gehen Gebet sein soll, so wie eben auch das ganze Leben als Gebet verstanden werden kann, da es auf Gott hin zu denken ist.

Gehend und betend bereite ich mich dabei auf die Ankunft in Santiago vor, die ihren Höhepunkt dann in der festlichen Pilgermesse in der Kathedrale und im Gebet am Grab des Heiligen Jakobus finden wird.
Dabei werden die Ereignisse des Weges selbst Vorausdeutung auf dieses freudige Ziel; sei es das persönliche oder gemeinsame Gebet mit anderen Pilgern oder die Begegnung in Gesprächen auf dem Weg, im gemeinsamen Kochen und Essen, in gegenseitiger Hilfe, in der Atmosphäre einer besonders liebevoll geführten Herberge oder im Staunen über eine schöne Kirche in einem der kleinen und größeren Orte durch die man hindurchkommt.

Ich denke, auch viele nicht christliche Pilger spüren, wie der Weg zu einem Symbol für das ganze Leben werden kann.
Jeder kennt die Erfahrung, auch auf dem Lebensweg mal Begleiter zu haben die nur für eine bestimmte Zeit sehr wichtig werden und dann verschwinden, aber auch die, Menschen zu finden, mit denen man den Weg gemeinsam fortsetzen möchte. Genauso lässt sich auch von Wegstrecken des Lebens sprechen, die mal schwerer und mal leichter sein können, mal schön und mal unangenehm. Die sprichwörtlichen Aussagen "Jemandem Steine in den Weg legen" oder "eine Durststrecke haben" verdeutlichen dies.
Und auch im Leben können wir keine Erfahrung zwei mal machen, können wir nicht zurück.

Deshalb hat der Pilgerweg das Potential, dem Pilger Einsichten über sein Leben zu vermitteln.
Ich habe Menschen erlebt, für die der Weg sehr wichtig wurde. Gläubig oder nicht: die steigende Popularität des Jakobsweges kann Türen öffnen.


Wie aber kann man sicher gehen, dass man wirklich zum Pilger wird und nicht als Tourist über den Jakobsweg stolpert?

Lassen Sie überflüssigen Ballast zu Hause: verzichten Sie auf fast alles, und vor allem verzichten Sie auf Ihre Vorstellungen und Erwartungen. Lesen Sie vorab keine Reise- und Erfahrungsberichte, sondern höchstens Hilfen zur Etappenplanung. Packen Sie nicht mehr ein, als Sie in 1-3 Minuten einsortiert kriegen.
Erwarten Sie nichts: kommen Sie als Bittsteller in die Orte und Herbergen, statt eine Leistung zu kaufen. Nehmen Sie die Einfachheit der Gegebenheiten als Geschenk. Seien Sie neuguerig auf die Motive, Macken und Eigenarten der anderen Pilger, statt sich über abweichende Verhaltensweisen zu ärgern.
Üben Sie Stille ein: Packen Sie schnell und geräuschlos, gehen Sie auch mal längere Abschnitte schweigend, überlegen Sie was es wert ist gesagt zu werden und was nicht.
Meiden Sie Touristen oder ziehen Sie diese auf ihre Seite: Suchen Sie einfache Herbergen auf, laden Sie Mitpilger zum gemeinsamen Kochen ein, bitten Sie Menschen in ihrem Zimmer, nicht zu sprechen, keine Taschenlampen zu benutzen und vor 21 Uhr zu packen statt am Morgen. Eventuell kann es ihnen auch helfen, die stark frequentierten Monate Juli und August zu meiden.
Vertrauen Sie dem Weg: Lösen Sie Probleme, dann haben Sie auch keine. kümmern Sie sich um ihre Füße und überlasten Sie sich nicht. Laufen Sie nicht über Schmerzen und machen Sie vor allem in den ersten 6 Tagen lieber halbe Etappen, damit ihr Körper Zeit hat, sich einzugewöhnen. Trinken Sie genug Wasser (das heißt deutlich mehr als sie zu Hause trinken würden). Planen Sie von vorneherein mindestens 4 Tage Reserve ein. Nehmen Sie Hilfsangebote an, helfen Sie selbst wenn es sich ergibt. Zögern Sie nicht, um Hilfe zu bitten. Lassen Sie sich mal einladen, laden Sie mal ein. Zögern Sie nicht, ihren Plan anzupassen, wenn mal was nicht funktioniert. Verleihen Sie Geld, obwohl Sie nicht wissen können, ob Sie die Person wieder treffen werden. Gehen Sie ohne Reservierungen.
Nutzen Sie kirchliche Angebote: Auch wenn Sie nicht gläubig sind - erweitern Sie ihre Erfahrung um die der christlichen Tischgemeinschaft und gemeinsamer Gebete in christlichen Herbergen. Holen Sie sich den Pilgersegen auch dann ein drittes mal, wenn sie ihn beim ersten und zweiten mal enttäuschend unspektakulär fanden. Auch die Begegnung mit eher fernöstlich ausgerichteter Spiritualität kann sich lohnen; vegane Herbergen und Yoga Angebote gibt es auch.

Heute vegan: Penne mit scharfer Tomaten- Gemüsesauce für alle. Ich hatte vergessen, das Geld einzusammeln, aber in den nächsten Tagen kamen alle Mitpilger die an diesem Abend dabei gewesen waren nach und nach zu mir, um sich noch mal zu bedanken und mir etwas zu geben. (Eigenes Foto, August 2016)